Wenn kein Kind kommt

Seelische und familiensystemische Aspekte eines unerfüllten Kinderwunsches

Ein unerfüllter Kinderwunsch kann für die Betroffenen und nicht selten auch für die Partnerschaft sehr belastend sein. Liegen keine körperlichen Ursachen vor, macht es Sinn zu erforschen, ob seelische oder familiensystemische Themen seiner Erfüllung im Wege stehen. Dies bietet sich vor allem auch deshalb an, weil eine Aufdeckung etwaiger zugrunde- liegender Themen sowie ihre therapeutische Bearbeitung und Auflösung durchaus den Weg zu einem Kind frei machen kann – wie auch immer dieser Weg dann im Einzelnen aussehen mag.

Die Themen können ganz unterschiedlicher Art sein und sich auf ganz verschiedene Weise äußern. Einiges betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Andere Themen sind eher frauen- bzw. männerspezifisch. Gerade auch bei Männern kann das Thema des unerfüllten Kinderwunsches empfindliche Punkte wie Infragestellung ihrer Männlichkeit berühren und schambesetzte Versagensängste auslösen. Ihnen fällt es oft auch schwerer als Frauen, über ihren nicht erfüllten Wunsch nach einem Kind zu sprechen und sich bei diesem Thema begleiten zu lassen. Lesbische und schwule Paare stellt ein Kinderwunsch vor noch einmal ganz eigene Herausforderungen. Und auch die Lösungswege können ganz unterschiedlicher Natur sein.

Schwere eigene Geburt

Wurde die eigene Geburt als sehr schwer oder sogar lebensbedrohlich erlebt, kann die unbewusste Erinnerung daran dazu führen, dass eine Frau oder ein Mann mit Unfruchtbarkeit bzw. Zeugungsunfähigkeit reagiert. Eine solche früh gewonnene Überzeugung im Sinne von „Geburt ist lebensgefährlich“ lässt sich sehr gut therapeutisch auflösen.

Starke Belastung in der Kindheit

Ist eine Frau in der Kindheit stark überfordernden Situationen ausgesetzt gewesen, ist die Gefahr generell sehr groß, dass der Stress oder die Angst von damals unbewusst bis ins Erwachsenenalter weiterwirkt. Hat sie zum Beispiel die eigene Mutter sehr früh verloren und wurde dann von häufig wechselnden Personen betreut, kann sie als Erwachsene durchaus mit Unfruchtbarkeit reagieren.

Sie konnte sich von Anbeginn an vielleicht nicht sicher und getragen fühlen und war schon allein mit dem Überleben überfordert – vor allem dann, wenn die betreuenden Personen nicht ausreichend für sie da waren. Dann kann es sein, dass sie – auch hier oft wieder unbewusst – die Überzeugung in sich trägt, der Aufgabe, ein Kind großzuziehen, nicht gewachsen zu sein. Und weil das psychische Erleben Auswirkungen auf die Körperfunktionen haben kann, kann sie eine Unfruchtbarkeit entwickeln, die aber nicht unumkehrbar sein muss. Dies zeigt sich oft auch in dem Phänomen, dass eine Frau, die unbedingt und manchmal fast zwanghaft ein Kind wollte, erst dann schwanger wurde, als sie diesen Wunsch losgelassen hatte. Da wirkt dann die Entspannung auf die Körperfunktionen. Es ist z.B. nachgewiesen, dass sich ein befruchtetes Ei umso leichter in die Gebärmutter einnistet, je entspannter die Frau ist.

Hat es in der Kindheit eine belastende oder überfordernde Situation gegeben, ist eine sehr einfache, aber wirkungsvolle Möglichkeit ein kleines Ritual, bei dem ein Symbol für das kleine Kind, das die Frau oder der Mann damals war, an einen guten Platz in der Wohnung oder an einem anderen Ort gelegt und folgender lösende Satz zu ihm gesprochen wird: „Du hattest es damals nicht leicht. (oder: „Du hast schlimme Situationen erlebt.). Heute bin ich erwachsen und kann gut für mich, für dich und auch für ein eigenes Kind sorgen.“

Ist eine Frau in der Kindheit jedoch schwer traumatisiert worden, ist es angezeigt, zunächst das Trauma zu bearbeiten – nicht zuletzt, um zu verhindern, dass es im eigenen Kind weiterwirkt.

Stress

Stress und vor allem emotionaler Stress – zum Beispiel aufgrund von Konflikten im Beruf oder in der Partnerschaft, finanzieller Sorgen, Krankheit oder sonstiger Belastungen – ist einer der wichtigsten Faktoren im Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit und Zeugungsunfähigkeit. Stress versetzt den Körper in den so genannten Kampf- oder Flucht-Zustand, in dem Mechanismen aktiviert werden, die für das Überleben notwendig sind. Dabei werden unter anderem auch die Werte der reproduktiven Hormone gesenkt.

Will ein Paar den Weg für ein Kind ebnen, sollte es dem Thema Stress unbedingt Beachtung schenken und sich ggf. um Stressreduktion bemühen.

Verlust der Freiheit

Ein Gedanke, der ebenfalls eine ziemliche Wirkung entfalten kann, ist der, seine Freiheit zu verlieren und keinen Raum mehr für die eigenen Bedürfnisse zu haben. Hier macht es Sinn, sich diesen Gedanken einzugestehen und sich vor allem nicht dafür zu verurteilen. Und Sie können sich selbst das Versprechen geben, sich und Ihre Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und dafür zu sorgen, dass sie erfüllt werden. Vielleicht spüren Sie dabei, dass es ein Thema von Ihnen ist, nichts für sich selbst verlangen zu „dürfen“. Ist dieser Glaubenssatz sehr stark, kann es helfen, ihn z.B. therapeutisch zu bearbeiten und aufzulösen.

Familiensystemische Aspekte

Aus systemischer Sicht kann auch eine Loyalität zu einer Frau aus der eigenen Familie vorliegen, die keine Kinder bekommen konnte, ein Kind verloren hatte oder ein sonstiges schweres Schicksal in Verbindung mit einem Kind tragen musste (etwa, weil sie wegen eines unehelichen Kindes von der Familie verstoßen wurde). In diesem Fall kann ebenfalls eine Aufstellung hilfreich sein. Möglich ist jedoch auch wieder, ein Symbol – hier für die Frau aus der Herkunftsfamilie – zu wählen und zum Beispiel folgenden lösenden Satz zu ihr zu sprechen: „Ich achte dich und dein Schicksal. Und wenn ich ein Kind bekomme, so schaue bitte besonders freundlich auf mich. Und wisse, es geschieht zu deinen Ehren.“

Der verlorene Zwilling

Ein häufig übersehenes, aber sehr wichtiges Thema ist das des verlorenen Zwillings. Es gibt Frauen, die – oft von der Mutter unbemerkt – nicht allein waren, als ihre Mutter mit ihnen schwanger war. Stirbt der Embryo, kann dies für den „übrig gebliebenen“ Zwilling ein schwerer Schock sein, der ihm später zwar nicht mehr bewusst ist, aber enorme Auswirkungen auf sein Leben haben kann. Es ist meistens nicht leicht herauszufinden, ob anfänglich tatsächlich eine Zwillingsschwangerschaft vorlag. Mögliche Hinweise sind unter anderem Anzeichen für eine Fehlgeburt bei der Mutter, als sie mit der betroffenen Frau schwanger war, das Gefühl, irgendwie nicht vollständig zu sein oder eine unerklärliche Traurigkeit oder Schuldgefühle. Zusätzliche Indikatoren können Linkshändigkeit oder überdurchschnittlich häufige Zwillingsgeburten in der Familie der Mutter sein. Ein möglicher lösender Satz zu dem verlorenen Zwilling könnte lauten: „Du hast gewählt, nicht geboren zu werden. Du bist ganz früh gegangen, ich lebe noch ein Weilchen und dann komme ich auch. Du hast immer einen Platz in meinem Herzen – auch wenn ich eigene Kinder habe.“

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